Betritt man Gerhard Kaisers Atelier, das sich im ehemaligen Verwaltungstrakt der Enzesfeld-Caro Metallwerke AG befindet und ihm auf Basis eines symbiotischen Sponsoringabkommens von der Firma kostenlos zur Verfügung gestellt wird, ist man zunächst überwältigt angesichts der Fülle von Werken, die hier – verteilt auf mehrere Räume – verwahrt werden: Der Großteil davon sorgfältig verpackt und beschriftet sowie nach Entstehungsjahren geordnet. Wenn auch insgesamt die Atmosphäre von kreativem Chaos überwiegt, so hat man doch das Gefühl, in ein riesiges, nahezu unerschöpfliches Archiv einzutauchen, anhand dessen sich nicht nur der künstlerische Werdegang quer durch alle Schaffensphasen nachvollziehen lässt, sondern das zugleich auch vieles über die Persönlichkeit aussagt, die sich hinter diesen Werken verbirgt.

Schon das Entree des weitläufigen Stiegenhauses und die Räume des Ateliers selbst, in denen einst wohl emsiges Klappern von Schreibmaschinen und Fernschreibern zu vernehmen war, vermitteln den Eindruck, als wäre hier gewissermaßen die Zeit archiviert worden.

In einer Ecke des Ateliers lädt eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Sitzmöbeln, die der Künstler allesamt im Zuge von Sperrmüllaktionen von der Straße aufgelesen hat, zum Verweilen ein, während der Blick staunend umherschweift. Im Gespräch mit Gerhard Kaiser wird deutlich, dass diese Räume – abgesehen von ihrem großzügigen Platzangebot – allein aufgrund ihrer Vorgeschichte wie geschaffen sind für seine spezifische Arbeits- und Herangehensweise als Künstler. Zumal das Aufspüren und Abschreiten von unbenutzten, vergessenen Orten und der Stillstand der Zeit, der sich hierin manifestiert, eine maßgebliche Inspirationsquelle für ihn darstellt. Demzufolge empfindet Kaiser den Malakt „als eine andere Zeitdauer, eine meditative Annäherung an Orte, Objekte und Situationen.“ Seine Bilder reflektieren jene „Eindrucksschwankungen“, die an solch vergessenen Orten im Zwielicht von Hell und Dunkel entstehen. Es ist die besondere, an den Schauplätzen im Niemandsland herrschende Stimmung, die der Künstler im unbunten Zwischenbereich seiner Malerei einzufangen trachtet. In ihrer reduzierten, zumeist nur auf Weiß, Grau und Schwarz beschränkten Farbigkeit sind diese Bilder letztlich auch als eine subtile Form von Widerstand gegen die marktschreierisch laute und grelle Massenbildproduktion der Gegenwart zu werten. Es sind unaufdringliche, stille Bilder, die unter ihrer Oberfläche etwas zu verheimlichen scheinen. Dieses Etwas ist das eigentlich Wesentliche, das sich schemenhaft erahnen lässt hinter netzartigen, ornamentalen Strukturen, denen eine schützende Funktion zukommt. Da nämlich diese Strukturen mittels Schablonen, Gittern, Gardinenstoffen etc. erzeugt werden und somit als einziges Bildelement konkrete Bezüge zu einer gemeinhin vertrauten Realität herstellen, wird der Blick des Betrachters abgelenkt. Er bleibt unwillkürlich an der verführerisch glänzenden Oberfläche haften und kann nicht weiter in die Tiefe dringen. Das Innerste der Bilder, das mit dem persönlichen Empfinden des Künstlers aufs Engste Verknüpfte, ist wie durch einen Vorhang verhüllt, hinter Dickicht versteckt und somit vor allzu neugierigen Blicken geschützt.

Ähnlich verhält es sich bei Kaisers Objekten, die zumeist aus ausrangierten, unter Kunststofffolien verborgenen oder mit dicken Lackschichten überzogenen Alltagsgegenständen bestehen. Es sind dies durchwegs Dinge, die entweder funktionsuntüchtig geworden sind oder einfach nicht mehr gebraucht werden. Aus dem (Waren-)Verkehr gezogen und stillgelegt, verdichten und konservieren sie gerade deshalb die Zeit. Dadurch gewinnen sie im Sinne von Hartmut Böhmes Fetischismus-Theorie Authentizität, Originalität und Einzigartigkeit. In einer Welt der Serien und Kopien werden sie zu Unikaten: „Für sie gilt nicht mehr der quantifizierende Kalkül der Warenäquivalenz, durch den noch das Verschiedenste gegeneinander aufrechenbar ist. Das Unikat ist unvergleichlich, inkommensurabel, relationslos. Es ist zu einem symbolischen Ding geworden – jenseits des Tauschs, der Gabe, der Ware.“[1]

Dieser symbolische Wert der Dinge wird im Kunstkontext durch den Prozess des ästhetischen Recyclings noch verstärkt; die Dinge werden individualisiert. Diesbezüglich trifft zu, was Böhme allgemein in Bezug auf die unveräußerlichen, d. h. dem Warenkreislauf entzogenen Dinge festgestellt hat: „Fraglos und selbstverständlich strahlen sie die Aura des Kostbaren und Unteilbaren aus. Sind womöglich diese Dinge individueller als wir selbst? Jedenfalls sind sie kontraphobische Reaktionen auf die Erfahrung, dass die Menschen nicht nur zu Konsumenten, sondern selbst zu Waren geworden sind, zu Funktionsteilchen von Organisationen und Systemen, […], gesichtslose Wesen in einer wesenlosen Gesellschaft, die ihre Waren so umschlägt wie die Menschen, aus denen sie besteht. Insofern sind die ausgezeichneten, mit Energien und Strahlung geladenen Dinge ein notwendiger und darum unveräußerlicher Halt der eigenen Individualität. Individuum (ein Unteilbarer) ist nur, wer so fraglos identisch wäre, wie die unveräußerlichen Dinge es uns sind. Denn gerade die Moderne hat gelehrt, dass wir als Individuen uns ohne Unterlass veräußern, verdinglichen, in Anspruch genommen sehen, verschlissen fühlen.“[2]

Möglicherweise ist es dieses Gefühl der Veräußerung, das in Gerhard Kaisers Objekten mitschwingt und beim Betrachter zuweilen ein merkwürdiges Unbehagen auslöst. Nicht zufällig gebraucht der Künstler selbst in Zusammenhang mit seinen Objekten den Ausdruck „Köder“, während er lapidar hinzufügt: „Wer ankommt [oder vielmehr anbeißt], wird ausgenutzt.“ Das erste „Opfer“ – wenn man so will – ist er selbst, zumal er sich permanent, fast zwanghaft, in den Arbeitsprozess eingebunden sieht und dieses Eingebundensein als derart verinnerlichten Vorgang erlebt, dass er letztlich Kunst mit „Stoffwechsel“ gleichsetzt. Man könnte auch sagen, dass der Künstler und seine Objekte eins geworden sind. Indem Gerhard Kaiser einst nützliche Alltagsdinge verfremdet, interpretiert und entäußert, verleiht er ihnen eine neue, rein subjektive Bedeutung. Sie sind – objektiv betrachtet – also nicht mehr das, was sie sind, sondern „transfinalisiert“, wie es Monsignore Otto Mauer einmal, auf Joseph Beuys’ Werke bezogen, formuliert hat. Mauer spricht in diesem Kontext auch von „Psychofakten“ und meint damit, dass „hier die Subjektivität des Menschen und die Objektivität der äußeren materiellen Dinge geradezu zusammengeflossen sind.“[3]

Kaisers Objekte haben zudem – und das ist eine weitere Parallele zu Beuys – etwas Bedrückendes an sich, das an die literarischen Gleichnisse eines Franz Kafka denken lässt und die ganze Morbidität und Sinnwidrigkeit unseres Daseins widerspiegelt:

„Unsere empirische Welt ist eine korrupte Welt, ist eine vom Tod durchsetzte Welt und gezeichnete Welt, und es ist eine Welt des Fressens und Gefressenwerdens. Es ist, an und für sich, eine aussichtslose Welt, es ist eine Gefängniswelt, das hat schon Platon in seinem Höhlengleichnis gesehen, es ist eine Schattenwelt.“[4]

Alexandra Schantl, November 2008



[1] Hartmut Böhme: „Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne“, Reinbek bei Hamburg 2006, S. 306

[2] Ebd., S.306 f.

[3] Otto Mauer: „Rede über Joseph Beuys“ (12. September 1967, Städtisches Museum Mönchengladbach), in: Robert Fleck: „Avantgarde in Wien. Die Geschichte der Galerie nächst St. Stephan 1954-1982. Kunst und Kunstbetrieb in Österreich“, Bd. 1: Die Chronik, Wien 1982, S. 268

[4] Ebd., S. 270

A.Schantl L.Kogler J.Rössl M.Rennhofer O.Rychlik Rychlik+Krumpl W.Hilger W.Pauser J.P.Hodin M.Wagner W.Stelzer N.Pernod H.Knack Ch.Krejs F.Steininger

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