Im Sog der Bilder

 


Gerhard Kaiser ist ein leidenschaftlicher Sammler von allen möglichen Dingen, die üblicherweise kaum jemandes Aufmerksamkeit erregen, ihm aber aus einem Impuls heraus interessant bzw. ästhetisch reizvoll erscheinen. Sein fast zwanghafter Drang zum Aufbewahren bezieht sich jedoch nicht allein auf Dinge der Warenwelt, sondern seit einiger Zeit auch auf Bilder, Grafiken und Texte, die er fotografiert oder scannt und auf Festplatten speichert. Dieses täglich gespeiste und somit stetig wachsende digitale Archiv stellt die Basis von Kaisers aktueller künstlerischer Arbeit dar. Es ist die unversiegbare Quelle seiner computergenerierten Bildkreationen, die entweder als digitale C-Prints auf Papier, mitunter auch auf Leinwand, oder mittels Siebdruck auf verschiedenen Trägermaterialien (Kunststoffplatten und -folien, Acrylglas) ausgeführt werden.

Hat man Kaisers gesamtes Œuvre vor Augen, das bis vor wenigen Jahren vornehmlich auf Malerei und Plastik fokussiert war, fragt man sich, wodurch die Hinwendung zur digitalen Bildproduktion ausgelöst wurde. – Es sei die Abneigung vor den klassischen Medien der Kunst gewesen, so die Antwort des ehemaligen Schülers von Oswald Oberhuber, dessen Prinzip der „permanenten Veränderung“, das mit der Ablehnung jeglicher Stilbildung einhergeht, für Kaisers künstlerisches Selbstverständnis seit jeher wegweisend war. Seine Begeisterung für die digitale Welt sei aber vor allem in der Transformationsmöglichkeit der Medien begründet. Eine analoge, auf Papier existierende Zeichnung etwa kann durch den Vorgang des Scannens digitalisiert und beispielsweise in Kombination mit digital aufgenommenen bzw. analog erzeugten, aber digital reproduzierten Fotografien letztlich auf Leinwand oder einen beliebigen anderen Bildträger gedruckt werden.

Kaisers Vorgangsweise bei dieser speziellen Form der Bildfindung entspricht im Wesentlichen dem, was Claude Lévi-Strauss in Bezug auf das mythische Denken als bricolage oder intellektuelle Bastelei bezeichnet hat: Jener Bastler hat bei seinen Vorhaben ein Instrumentarium zur Hand, dessen einzelne Werkzeuge und Materialien nicht zielgerichtet, sondern nach der Devise „das kann man immer noch brauchen“ angesammelt werden. Geht er an die Realisierung eines konkreten Projektes, „muss er mit dieser Gesamtheit in eine Art Dialog treten […]. Alle diese heterogenen Gegenstände, die seinen Schatz bilden, befragt er, um herauszubekommen, was jeder von ihnen "bedeuten" könnte. So trägt er dazu bei, ein Ganzes zu bestimmen, das es zu verwirklichen gilt, das sich aber am Ende von der Gesamtheit seiner Werkzeuge nur durch die innere Disposition der Teile unterscheiden wird.“1 Andererseits zieht die Freiheit, die der Bastler in der Wahl seiner Mittel hat, „eine vollständige Neuorganisierung der Struktur nach sich […], die weder der andeutungsweise vorgestellten noch irgendeiner anderen, die ihr hätte vorgezogen werden können, jemals entsprechen wird.“2 Auf Gerhard Kaisers Arbeit gemünzt, bedeutet Bricolage also die Reorganisation von Bilddaten zu immer neuen Strukturen, wobei er die unendlich vielen Optionen, die dieser Schöpfungsprozess mit sich bringt, als ebenso lustvoll wie belastend empfindet. Die Unmöglichkeit, das gesamte Archiv im Blick zu behalten, verursacht ein latentes Unbehagen, das durch den Umstand, dass potentiell jedes einzelne Bild mit allen anderen zusammenhängt, verstärkt wird. Er ist sozusagen in einen Sog der Bilder geraten, der ihn immer weitertreibt und ihm gleichzeitig das Gefühl vermittelt, stets nur etwas „Unfertiges“ festhalten zu können.

Kaiser thematisiert in seinen aktuellen Arbeiten somit ein Phänomen, das der deutsche Kunsthistoriker Gottfried Boehm als „bildnerisches Kontinuum“ beschrieben hat. Gemeint ist damit jener Zustand der Moderne, der durch die technische Reproduzierbarkeit von Bildern – beginnend mit den alten Drucktechniken über die analoge Fotografie bis hin zu den digitalen Medien – herbeigeführt wurde und in der „jeder Quadratzentimeter der sichtbaren Welt, fast alles, was irgendwo sichtbar ist oder sichtbar gemacht werden kann, […] auch ein möglicher Gegenstand für ein Bild [ist].“3 Dadurch wird „die Oberfläche der Welt identisch […] mit einem bildnerischen Kontinuum. Es setzt das freie Gleiten über das Sichtbare oder sichtbar Gemachte voraus, das sich an jeder Stelle zu einem Bild manifestieren kann.“4 Dadurch kommt es nicht nur zu einer Entgrenzung der klassischen Medien, sondern auch zu einer Aufhebung der „Ordnung der Bilder“, was mitunter durch die zahlreichen Versuche moderner Künstler, den Rahmen des traditionellen Tafelbildes zu sprengen, belegt wird.

Auch in den Werken von Gerhard Kaiser ist der Rahmen ein wiederkehrendes und geradezu bildbestimmendes Motiv, das mitnichten der Eingrenzung dient. Vielmehr handelt es sich oft um mehrere, übereinander gelagerte rahmenähnliche Elemente, die einen Durchblick gewähren auf darunterliegende Schichten von Bildern. Es sind beispielhafte, dem bildnerischen Kontinuum entrissene Ausschnitte, die insofern an die aus der Computersprache bekannten Frames erinnern als sie scheinbar auf Inhalte verweisen, die auf einer weiteren Ebene aufgerufen werden können. Da naturgemäß im Falle von Kaisers Bildern die in den Frames enthaltenen Informationen statisch, d.h. nicht mit Hyperlinks versehen sind, bleiben sie bedeutungsoffen und verweisen letztlich nur darauf, dass sich hinter den Bildern noch mehr Bilder verbergen. Wäre dem nicht so, wären also Kaisers Werke tatsächlich dynamisch bzw. interaktiv, würde sich ihr Betrachter mit jedem Klick mehr im Sog der Bilder verlieren.

1 Claude Lévi-Strauss: „Das wilde Denken“, Frankfurt am Main 1973, S. 31


2 Ebd., S. 32


3 Gottfried Boehm: „Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens“, Darmstadt 2010, S. 168


4 Ebd., S. 170


A.Schantl L.Kogler J.Rössl M.Rennhofer O.Rychlik Rychlik+Krumpl W.Hilger W.Pauser J.P.Hodin M.Wagner W.Stelzer N.Pernod H.Knack Ch.Krejs F.Steininger

M.Wagner III Carl Aigner Alexandra Schantl II Oswald Oberhuber Günter Oberhollenzer Michaela Seiser Lucas Gehrmann Alexandra Schantl III Gerhard Kaiser I Gerhard Kaiser II