WIRKLICHKEITEN

GERHARD KAISER IN SELBSTAUSSAGE UND WERK


Gerhard Kaiser zählt nicht zu jenen Selbstzufriedenen, denen Zweifel fremd sind. Ehrlich und ernsthaft stellt er sein Tun immer wieder überprüfend in Frage. Eine produktive Unsicherheit, vor allem aber die Angst, in eine erfolgreiche Manier zu verfallen und dort einzuhalten, wo ein nur scheinbarer Endpunkt erreicht ist, treiben Kaiser zu immer neuen Ansätzen. Dieser mitunter schmerzhafte, methodische Prozeß, in dessen Verlauf Erreichte's verworfen oder weiterverfolgt wird, hat den Künstler aber auch zu intellektuellen Klarstellungen geführt, die eine konsequente Weiterentwicklung ermöglichen. Aus der Kenntnis der klassischen Moderne und den komplexen Erfahrungen im eigenen Schaffen verbalisierte Kaiser jüngst einige Selbstaussagen zu seinem Werk:
"Ich empfinde meine Arbeiten unerotisch und versuche Figuren aus dem Spannungsbereich von Harmonie und Disharmonie herauszulösen. Ich versuche Körper in ihrer Schein-, Ur-, Roh- und Phantasie-Form zu zeigen, reduziere und übersteigere, zerteile und verbinde, kombiniere mit Er­dachtem.
Wesentlich erscheint es mir, nicht die Methode des Variierens anzuwenden, nicht einmal angeeignetes Formenrepertoire in immer neuartigen Kombinationsmöglichkeiten zu benutzen. Vielmehr steht bei jeder Zeichnung, bei jedem Bild am Ausgangspunkt ein neuer gedanklicher Prozeß, der dann den Ablauf der zeichnerischen und malerischen Bewältigung festlegt."
Wenngleich derartige Äußerungen von professionellen Kritikern oft skeptisch aufgenommen und als subjektive Vorgabe für eine objektive Beurteilung empfunden werden, so kommt ihnen doch eine ganz wesentliche, kunsthistorisch stets geachtete Quellenqualität zu, deren Wertigkeit in Relation zum Werk gesehen werden muß.
In seiner ersten Personalausstellung (1981), NO Landesmuseum) zeigte Kaiser zwar die Vielfalt seines Könnens und beachtliche Kreativität, mußte aber auch den Vorwurf der Unentschiedenheit und allzu deutlichen Bezugnahme auf die Avantgarde der letzten sechzig Jahre zur Kenntnis nehmen. Zeichnungen, Collagen, Materialbilder und Objekte wiesen ihn als von der Hochschule eben abgegangenen Künstler aus, der seinen Platz in der zeitgenössischen Kunstszene zu bestim­men suchte. Der bewußte Griff in die Kiste der Kunstgeschichte und die persönliche Handhabung der vorgefundenen formalen Mittel, war für Kaiser der notwendige erste Schritt zur Erschließung des stilistischen Eigenpotentials. Inhaltlich hatte er schon damals einen Ansatz gefunden, den er in den folgenden Jahren konsequent weiterverfolgte. Die Untersuchung der vordergründigen Realität auf ihren wahren, letzten Wirklichkeitsgehalt hin ist sein Thema. Kaiser versucht an verschiedenen Exempla Wirklichkeiten aufzudecken, die nicht wissenschaftlich verifizierbar, sondern nur individuell erfahrbar und künstlerisch zu vermitteln sind. Daß die Aufarbeitung der selbst erfahrenen Alltags­realität und der oft gegensätzlichen eigenen inneren Wirklichkeiten, deren Wurzeln bis in die Kind­heit zurückreichen, ein frühes, erstes Anliegen war, ist verständlich. Da ging es denn Künstler um eine autobiographische Bestandsaufnahme mit dem Ziel der Findung eines gesicherten persönlichen und künstlerischen Standortes.
Noch an der Hochschule begann sich Kaiser mit subtilen, etwa literarisch bereits aufbereiteten Wirklichkeiten zu beschäftigen. Mit Illustration hatte diese Auseinandersetzung von Anfang an nichts zu tun. Vielmehr konfrontierte der Künstler seine Empfindungen und Assoziationen zum Thema mit jenen des Textautors, um so eine eigenständige Umsetzung in sein künstlerisches Medium zu erreichen. Dabei geht es nicht um die narrativen Elemente eines Textes, sondern um dessen emotionale Wirkung um die individuellen Wirklichkeiten, die bewußt gemacht werden. Sie versucht Kaiser ins Bild zu setzen: er erweitert, ergänzt, verformt das Stimmungsfeld des Anstoßes und schafft somit letztlich neue, dem Text adäquate Wirklichkeiten im Betrachter. Der Zyklus „Trakl — Mysterium einer Leidenschaft" (1980) ist ein frühes Beispiel für diese Arbeitsweise.
In den folgenden Jahren entwickelte Kaiser vorrangig seine Malerei, die reizvollen Objektarbeiten verloren erst an Bedeutung. Die Zyklen „Kunst für die Armen" (1982), „Motive zur Genesis" (1983/84) und „Die 120 Tage von Sodom" (1985) belegen die Erweiterung der Bildmittel und die Erarbeitung eines persönlichen Stils. Sein gleichgebliebenes, vielleicht stringenter gefaßtes Inhaltliches Anliegen der in verschiedenen Realitäten bewirkte und wirkende Mensch vermag er nun durch eine ebenbürtige Malerei auch formal klar umzusetzen. Da es Kaiser um das hinter der äußeren Erscheinung Liegende, materiell zwar nicht faßbare, aber nichtsdestoweniger ebenso Wirkliche und Wirkende geht, hat er sich eine platte, realistische Darstellung eo ipso versagt. Daher reduziert oder übersteigert er, löst jedenfalls die allgemein evidente Gegenständlichkeit auf und schafft so eine persönliche, durchaus auch gegenständliche Formensprache, der oft ein vielschichtiger Zeichen - und Symbolcharakter zukommt. Diese erdachte Grundstruktur der Bilder verwirklicht Kaiser unter Ausschöpfung seiner beachtlichen graphischen Fähigkeiten. Bei der impulsiven malerischen Gestaltung verwendet er vorzüglich die bedeutenden Farben Rot, Weiß, Blau, Schwarz und Gelb. Das heftige Wechselspiel der Gesamtheit dieser einander verstärkenden Bildmittel erzeugt eine intensive, den Betrachter treffende inhaltliche Wirkung. Gerhard Kaiser malt nicht „wild", vielmehr gestaltet er sehr bewußt und läßt dabei seine natürliche Spontanität gezielt mitwirken.
Dantes „Divina Commedia" hat Kaiser nun zum Beginn eines neuen, umfangreichen Zyklus ver­anlaßt, dessen erste Ergebnisse diese Ausstellung zeigt. Das in der Kunstgeschichte oft behandelte, besonders von den Präraffaeliten immer wieder aufgegriffene.Thema ist dem Künstler zu einer Her­ausforderung geworden, an der er den künstlerischen Reifeprozeß der letzten Jahre erproben und weiterführen will. Seit 1985/86 arbeitet Kaiser wieder intensiver an Objekten. Die ausgestellten Stücke zeigen, daß die an der Beschäftigung mit der Malerei gewonnene Sensibilität auch seine Objektkunst vorwärtsgebracht hat. Da werden nicht mehr bloß interessante Einzelstücke reizvoll kombiniert, sondern durch feinfühlige Materialwahl und abgestimmten Farbauftrag in ihrer Wirkung entschiedene Arbeiten geschaffen.
Dieser Künstler geht an seiner Zeit nicht vorbei. Seine Kunst zeigt Wege und Werte, die allmählich auch von der kunstfernen Allgemeinheit empfunden werden:
Die Wirklichkeit ist nicht wirklich wirklich, aber wirklich ist sie doch. Kein gewinnorientiertes Unternehmen ließe derartig „Irrationales" ohne Abschätzung des geistigen Klimas auf das Publikum los.

Dr.Joachim Rössl

A.Schantl L.Kogler J.Rössl M.Rennhofer O.Rychlik Rychlik+Krumpl W.Hilger W.Pauser J.P.Hodin M.Wagner W.Stelzer N.Pernod H.Knack Ch.Krejs F.Steininger

M.Wagner III Carl Aigner Alexandra Schantl II Oswald Oberhuber Günter Oberhollenzer Michaela Seiser Lucas Gehrmann Alexandra Schantl III Gerhard Kaiser I Gerhard Kaiser II