Auf der Spur

Gerhard Kaiser beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit dem Elementaren als  Akzent des Unmittelbaren in seiner künstlerischen Arbeit, wobei es weniger darum gegangen ist, den Werkbegriff selbst auf seine theoretischen Grundlagen  zurückzuführen, als bestimmte Materialien auf ihre unmittelbare, elementare Wirkung hin zu überprüfen. Alle Bestandteile des Bildes bzw. der Assemblage wurden nun in ihrer pursten Form sichtbar, der Keilrahmen als roher Träger einer Pappendeckelfläche, Malerei und Farbe als schwere, volle Patzen aus dieser geschmeidigen Paste, die für maschinelle Druckverfahren Verwendung findet. Was daran anziehend und gleichermaßen abstoßend gewesen ist, war die Schamlosigkeit des Umgangs mit Materialien, die Selbstverständlichkeit und Offenheit, mit der sie demonstriert wurden, das Unübersetzte, das Exhibitionistische des Vortrags, der das Elementare und Materielle tatsächlich bloßgestellt hat, während es uns sonst nur in destillierter, geläuterter, verzierter, jedenfalls gedämpfter und vermischter Form entgegentritt.
Das Elementare und Materielle war schon in den Objekten, von denen hier die Rede ist, und die als Einleitung gelten dürfen für die in diesem Katalog abgebildeten Arbeiten, keinesfalls das theoretische, konkrete Substrat des Artefakts, sondern Erzählung, Ausdruck von Assoziationen, die aber kaum über Zeichen oder Elemente einer spezifischen Bildgeschichte an den Betrachter herangetragen wurden, sondern über die äußerst reduzierte, wiewohl folgenreiche Geschichte ihres simplen, nackten Erscheinungsbildes. Die Unverbundenheit, mit der nun Aspekte des Materiellen in ihrer elementaren Form vorgetragen wurden, entfremdete plötzlich das Zusammengehörige und Zusammenhängende, Keilrahmen, Bildträger und Malmaterial standen plötzlich einander gegenüber, wie in Lautréamonts berühmter surrealistischer Vision Nähmaschine, Regenschirm und Operationstisch.
Damit war die wesentliche Isolation erreicht, die das Materielle und Elementare überhaupt erst spürbar macht, die wesentliche Differenz hergestellt, die zum Ausdruck brachte, daß es sich hier nicht mehr um die Konstruktion von Komplexität handeln konnte, sondern im Gegenteil, um die Freisetzung der Elemente, um die Ablösung von ihrer engen Geschichte der Verbindlichkeit und Vernetztheit. Nun blieb es aber nicht bei dieser Elementarheit und reinen Materialität, wie sie für die zweite Hälfte der 80er Jahre und ihren Reduktionismus bezeichnend waren, sondern gleichzeitig bezog sich Gerhard Kaiser auf das Spezifische des künstlerischen Handwerks; sein Reduktionismus ging nicht weiter, als er für die Identifikation des Objekts als Kunstwerk zuträglich war, er stellt das Kunstwerk nicht als solches in Frage, er zieht lediglich davon ab, was für seine Konstitution nicht notwendig ist. Dabei trifft er – der das Pathos der Reduktionisten (seit Malewitsch) meidet – auf das Abstruse, Seltsame, um nicht zu sagen Lächerliche von ständig gehandhabten Voraussetzungen, die ihrer Schlußfolgerungen beraubt wurden.
In seinen jüngsten, hier vorgestellten Arbeiten, hat sich Gerhard Kaiser dem Gebrauch von Kunststoffolien zugewendet, nicht nur als Gestaltungsmittel, sondern vor allem auch als Gestaltungsprinzip seiner künstlerischen Arbeit. Sogesehen geht es nicht in erster Linie darum, neue Materialien in das Kunstwerk eingeführt zu haben und sie anstelle der traditionellen Mittel zur Wirkung zu bringen, als Ersatz, Ergänzung für die von Kaiser selbst – wie gesagt auf reduktionistische Weise – strapazierten Möglichkeiten. Es handelt sich nicht allein um eine Erweiterung des technischen Repertoires, sondern vor allem um eine prinzipielle Veränderung des künstlerischen Werkbegriffes, wie sie von Duchamp in Vorschlag gebracht, von Beuys mit neuen Inhalten besetzt und für Österreich – als sein Lehrer in Kaisers unmittelbarere Nähe – von Oswald Oberhuber zum permanenten Kunst- und Lebensprinzip erhoben wurde.
Von Duchamp leitet sich die (zumindest partielle) Identität des Kunstwerkes als ready made ab, als ein Gegenstand, den es mit seinen spezifischen Eigenschaften schon vor seiner Bestimmung als Kunstwerk gegeben hat, wobei der Begriff der technischen Produktion und des handwerklichen Könnens für den künstlerischen Prozeß obsolet geworden ist. Nun handelt es sich bei Kaiser keineswegs um ready mades im strengen Sinn, da er die Folien seines Gebrauchs nicht nur vorfindet – bevorzugter Weise in Druckereien und lithographischen Anstalten – sondern einem spezifischen Gestaltungsprozeß unterzieht. Aber das Material mit seinen starken, unveränderten Eigenschaften, seiner Struktur und Textur, bleibt erhalten, es bewahrt seine Sprache, die nun gegen die künstlerische Formung ausgespielt wird. In diesem Sinn entsteht eine Dialektik des Artifiziellen, wie sie erst nach Duchamp und seinen grundlegenden Überlegungen zur Konstitution des Kunstwerkes möglich ist, die Metamorphose des eben erst Gemachten in das immer schon Dagewesene und umgekehrt, die Eigenschaften des künstlerischen Materials übertönen die neue Formung, die ihm auferlegt wurde, und andererseits scheint die neue Form das Material ganz zu absorbieren, als hätte es erst durch den künstlerischen Prozeß seine Identität gewonnen.
Von hier aus führt die Überlegung unmittelbar zu Joseph Beuys weiter, dessen künstlerisches Denken ganz auf Materialien gerichtet war; dem es mit Duchamp darum ging, das Kunstwerk aus den Strukturen des überlieferten Könnens abzuziehen, es auf seine intellektuellen Voraussetzungen zurückzuführen, und dem es gegen Duchamp darum ging, über das Material Inhalte freizusetzen, die Selbstbezüglichkeit der Kunst aufzubrechen und sie dem Gespräch über die Dinge der Welt zuzuführen. Der Umgang mit dem Material war für Beuys der präziseste Ausdruck für Sensibilität, und seine Sensibilität hat die Eigenschaften der Materialien mit neuen Affinitäten erfüllt. Davon berichten auch Gerhard Kaisers Folien, aber nun eben nicht auf Beuys’ schamanistische Weise, keineswegs naturbezogen, sondern ästhetisch sensibilisiert für die Qualität von Kunststoff, diese spezifische Fragilität und Stabilität, Vorläufigkeit und Unverrottbarkeit; dieses seltsame Spektrum von Eigenschaften, die man nicht ohne weiteres auf das zurückführen kann, was man sieht, worauf sich aber Gerhard Kaiser bezieht, wenn er damit arbeitet.
Einen ersten Aspekt bietet die leichte Handhabbarkeit des Materials, seine Biegsamkeit, Elastizität, Festigkeit, die den Künstler dazu verführt, damit unmittelbar und ohne Handwerk umzugehen, auf möglichst einfache Weise, und doch  andererseits ohne konkretistischen Anspruch. Kaiser geht immer über die Möglichkeit hinaus, etwa eine Fläche nur als eine Fläche Farbe von bestimmter Ausdehnung vorzustellen, er bietet weitere Aspekte an, die eine greifbarere Individualität des Artefakts meinen, es wird noch genietet oder collagiert, nachartikuliert oder in jüngster Zeit auch bemalt. Der Künstler weist sich an den reichen Qualitäten des Materials deutlich genug als Schöpfer nach; er nimmt dem Betrachter die Frage nach Zufall und Absicht, nach der spannenden Latenz zwischen Wirklichkeit und Kunstwerk verhältnismäßig eindeutig ab – obwohl die Rezeption dazu verführt sein könnte, gerade aufgrund der spezifischen materiellen Eigenschaften seiner Produkte davon auszugehen, daß wieder die Frage nach den Grenzen der Kunst auf dem Spiel steht.
Und in dieser Offenheit, die mit den noch ungeahnten oder ungewußten Möglichkeiten der Sprache des Bildes experimentiert und sich jeweils über den theoretischen Anspruch hinwegsetzt, eindeutig sein zu müssen, zeigt sich Gerhard Kaiser mit Oswald Oberhuber verbunden. Dem künstlerischen Prozeß wird jederzeit zugestanden, Eigendynamik zu entwickeln; er formuliert sich aus dem Bewußtsein, immer wieder etwas hervorzubringen was unvorhersehbar sein mag, worauf reagiert werden muß, was die ursprüngliche Vorstellung korrigiert, konterkariert, möglicherweise ruiniert. Der Künstler findet sich auf die Spur seiner Arbeit gesetzt, ohne ihr Ziel zu kennen; er findet sich seiner Arbeit ausgesetzt, letztlich ohne sie lenken zu wollen, vielmehr folgt er ihren Hinweisen, liest ihre Zeichen und reagiert. Auf diese Weise entstand ein künstlerisches Werk, dessen Sukzession sich an den einzelnen Arbeiten Schritt für Schritt ablesen läßt, das von Stück zu Stück seine Entwicklung demonstriert, fast als Wachstum, als Enthüllung des noch Unbekannten, als Komplex widersprüchlicher, nichtsdestoweniger entsprechender Strategien, das Spannungsverhältnis aus Konzept und Intuition neu zu formulieren.

Dr.Otmar Rychlik

 

A.Schantl L.Kogler J.Rössl M.Rennhofer O.Rychlik Rychlik+Krumpl W.Hilger W.Pauser J.P.Hodin M.Wagner W.Stelzer N.Pernod H.Knack Ch.Krejs F.Steininger

M.Wagner III Carl Aigner Alexandra Schantl II Oswald Oberhuber Günter Oberhollenzer Michaela Seiser Lucas Gehrmann Alexandra Schantl III Gerhard Kaiser I Gerhard Kaiser II