KUNSTSTOFF – STOFF DER KUNST
ZU DEN „ASSEMBLAGEN“ GERHARD KAISERS.

VON WOLFGANG PAUSER

„Stoff“ kann in der Ästhetik zweierlei bedeuten, einerseits das Material, woraus etwas ist, und andererseits den thematischen „Inhalt“. In den Arbeiten von Gerhard Kaiser sind diese beiden Bedeutungen miteinander verschweißt, denn das Material ist darin nicht Träger einer von ihm unabhängigen Form und Bedeutung, sondern tritt als solches auf. Das Material verweist somit auf sich selber als thematischen Inhalt. Diese Rückbezüglichkeit erzeugt Gerhard Kaiser  dadurch, daß er das Material in Formen und Anordnungen präsentiert, welche die Qualitäten des Materials hervorheben. Transparenz und Intransparenz, starke Farbe und Farblosigkeit, Weichheit und Starre, undurchdringliche Geschlossenheit einer Haut sowie die Offenheit und Leichtigkeit einer Tragtasche: Die inneren Gegensätze und Kontraste der Arbeiten legen das auseinander, was das „Wesen“  des Kunststoffs ausmacht.
Das Wesen des Kunststoffs  aber ist, daß er keines hat. Jede denkbare Eigenschaft kann er annehmen, darin liegt seine Künstlichkeit. Zu seinen Verwendungen hat er ein anderes Verhältnis als alle herkömmlichen Stoffe, für die es charakteristisch war, daß sie ihrer Verarbeitung Widerstand entgegensetzten. Dieser Widerstand war die Ursache der wahrnehmbaren Differenz von Stoff und Form. Kunststoff hingegen ist in
der Welt nicht vorfindlich, seine Verwendbarkeit muß ihm nicht erst abgerungen werden, sein Zweck ist früher da als er.
Kunststoff ist zweckidentisch. Nur die Kunst kann ihn diesen Verhältnis entreißen. Erst in ihrer zweckfreien Spielwelt erhält er den Materialcharakter anderer Stoffe. Konsequent benutzt Gerhard Kaiser Industrieabfälle zur künstlerischen Zweckentfremdung. Zerkratzte und matte Stellen markieren die abgestreifte Verwendungsgeschichte. Kaiser bringt die gefundenen Kunststoffteile jedoch nicht als Ready-Mades in die Kunst ein, sondern in Formen, die auf das Tafelbild zurückverweisen. Die durchsichtige „Wandtasche“ steht für den bedeutungslosen Rahmen, die farbigen Stücke stehen an Stelle der Farbzonen des „Bildes“.  Für das
herkömmliche Kunstwerk war es charakteristisch, daß ein Stoff der Form unterworfen wurde, in welcher  sich eine Bedeutung manifestierte. In Gerhard Kaisers Kunstoff-
„Assemblagen“ hingegen ist die Bedeutung nicht eine Funktion der Form, sondern des Materials, das keine Form braucht, um Bedeutung zu haben, da die spezifische Verwendbarkeit voll ist von lebensweltlichen Konnotationen. Verschweißte Plastikhäute gemahnen an die Funktionen des Abhaltens von Nässe und Schmutz,
glänzende Folien an das glanzvoll-schöne Scheinen der Warenverpackung.
Die zitierte Kunstform der des Tafelbildes bleibt hier also der Form nach bedeutungsleer, da das Material nicht hinsichtlich seiner Form, sondern gemäß seinen zweckspezifischen Qualitäten in sich differenziert und geformt ist. An die Stelle der formalen Artikulation tritt die des Materials, Bedeutung nistet sich ausschließlich ein in den Spuren der Verwendungen. Der Stoff mit dem Zukunfts-Image bezieht hier seinen Sinn von seiner jeweiligen Vergangenheit, von seiner verlorenen Funktionsidentität. In dieser Rückwärtsgewandtheit kommt die Melancholie der späten Industriegesellschaft zum Ausdruck der Zukunftsstoff stammt von der Müllkippe, die Kraftfarben erscheinen als Giftfarben, höchste Transparenz schlägt durch ihre Akkumulation um in Intransparenz.  Deshalb sind die Arbeiten von Gerhard Kaiser nicht nur vor dem Hintergrund der Kunstgeschichte als Untersuchungen zum Stoff-Form-Problem lesbar. Indem der Kunststoff mit lebensweltlicher Bedeutung aufgeladen ist, verdichten sich in den „Assemblagen“
Erfahrungen, die jeder Betrachter machen kann. Es ist vor allem die Welt der industriellen Produktion, der Verpackung, des Konsums und des Abfalls, deren Drama aus dem Kontrast  von Glanz und Schäbigkeit, Prangen und stumpfer
Undurchsichtigkeit hervorleuchtet.

Dr.Wolfgang Pauser

 

Erschienen in der Kunstpresse  Nr. 2, im April 1992, S.37.

A.Schantl L.Kogler J.Rössl M.Rennhofer O.Rychlik Rychlik+Krumpl W.Hilger W.Pauser J.P.Hodin M.Wagner W.Stelzer N.Pernod H.Knack Ch.Krejs F.Steininger

M.Wagner III Carl Aigner Alexandra Schantl II Oswald Oberhuber Günter Oberhollenzer Michaela Seiser Lucas Gehrmann Alexandra Schantl III Gerhard Kaiser I Gerhard Kaiser II